Sei gut zu dir – vom Umgang mit inneren Antreibern und Kritikern

Vor einiger Zeit habe ich angefangen „Müssen“ durch „Wollen“ zu ersetzen. Was ich damit meine? Ganz konkret habe ich beispielsweise, statt mir selbst oder vor/zu anderen zu sagen, dass ich noch zum Sport gehen muss, davon gesprochen, dass ich noch zum Sport gehen will. Das klingt zunächst sehr banal. Aber was konnte ich dabei beobachten bzw. wahrnehmen? Diese kleine, simple Veränderung hatte starken Einfluss auf das Gefühl, dass ich beim Aussprechen hatte. Zum einen wurde mir durch das bewusste Aussprechen einmal mehr klar, dass mich niemand dazu drängt oder zwingt ein Workout zu machen. Sondern ich mich selbst – nach freiem Willen – dafür oder dagegen entschließe. Zum anderen konnte ich leichter erspüren, ob Sport gerade das war, was ich wollte bzw. brauchte oder ich mich selbst zu etwas zwinge, was mir nicht gut tut. Versteht mich nicht falsch, gerade beim Sport geht es oft darum, sich zu überwinden – das ist mir klar. Aber dabei völlig seine Bedürfnisse und sein Körpergefühl zu missachten ist in meinen Augen kein gesunder Ansatz. Zudem lässt sich dieses Beispiel auch leicht auf andere Lebensbereiche übertragen, in denen es wesentlich weniger normal ist, sich überwinden zu müssen. Ich für meinen Teil finde es sehr spannend, was diese kleine Veränderung bewirken konnte!

Erweitern wir die Betrachtung eines einzelnen Worte auf die Gesamtheit unserer (Selbst-)Gespräche, dann können wir festhalten, dass die grundsätzliche Art und Weise, wie wir (mit uns selbst) reden, starken Einfluss auf unsere Autonomie, Flexibilität und Eigenverantwortung hat. Meist sind wir dabei übrigens zu uns selbst wesentlich härter, als zu anderen. Ob Familie, Freunde oder nur Bekannte – wir würden mit ihnen im Normalfall nicht in der Befehlsform und Härte sprechen, wie wir es mit uns selbst tun. Wie oft hörst Du dich selbst sagen:

  • Ich muss … !
  • Ich darf nicht … !
  • Ich kann nicht … !

Welches Gefühl entsteht dabei in Dir? Ich für meinen Teil kenne diese Satzanfänge nur zu gut und kann sagen, dass sie Gefühle von Fremdbestimmung, Alternativlosigkeit, Überforderung sowie Ohnmacht – und damit teilweise starken Stress – auslösen können. Und das wundert nicht: Denn Worte haben eine oft unterschätzte Kraft und Wirkung, sowohl im Innen als auch im Außen. Und gleichzeitig sind die genannten Satzanfänge „bequem“, weil sie uns ermöglichen, unsere destruktiven Verhaltensweisen á la „Ich würde gern anders, aber es geht ja nicht …“ vor uns selbst und anderen zu legitimieren. Hinzu kommt, dass wir so auch die Gründe und die Verantwortung für unser Handeln externalisieren. Schade, denn wer (im Außen) einen Schuldigen gefunden hat, hört auf nach Lösungen zu suchen.

Was also könnte ein Anfang sein, um wieder mehr Verantwortung bei uns selbst und damit auch wieder mehr Handlungsspielraum zu gewinnen und die wahrgenommene Selbstwirksamkeit zu erhöhen?

Formulieren wir die Satzanfänge doch einmal wie folgt um:

  • Ich entscheide mich dazu, …
  • Ich erlaube mir nicht, …
  • Ich möchte nicht, …

Sodass zum Beispiel folgende Sätze entstehen:

  • Ich entscheide mich dazu, unbezahlte Überstunden zu machen.
  • Ich erlaube mir nicht nach 18.00 Uhr das Dienst-Smartphone auszuschalten.
  • Ich möchte nicht abschalten und entspannen.

Was verändert sich, wenn wir diese Satzanfänge nutzen? Meiner Erfahrung nach helfen sie dabei, wieder mehr in die Eigenverantwortung zu kommen, indem sie uns verdeutlichen, dass jeder von uns Entscheidungen treffen darf. Wenn wir einmal von negativen Erlebnissen wie Unfällen, Schicksalsschlägen und anderen strukturellen Gegebenheiten bzw. unveränderbaren, externen Faktoren absehen – dann manövrieren wir uns eben oft selbst durch unsere eigenen Entscheidungen (Stück für Stück) in gewisse Situationen. Uns das vor Augen zu führen, ist eine wichtige (und für viele schmerzhafte) Erkenntnis, um wieder in die Handlungsfähigkeit zu kommen und die eigenen Problemfelder bearbeiten zu können.

Kommen dir die Satzanfänge bekannt vor? Sprichst Du ähnlich (zu dir selbst) oder hast Du schon an deinen (inneren) Dialogen gearbeitet? Wie oben bereits angedeutet, gehen wir mit uns selbst oft hart ins Gericht. Das erlebe ich auch immer wieder bei meinen Klient:innen. Und ganz ehrlich: Mich hat es ebenfalls Zeit und Kraft gekostet, einen wohlwollenden Umgang mit mir selbst zu entwickeln. Heute bin ich froh, dass ich durch wirksame Methoden immer besser darin werde, denn Selbstkritik tut uns nicht gut und kann je nach Ausprägung ernstzunehmende negative Auswirkungen auf uns haben.

Was steckt hinter Selbstkritik und wie kann ich lernen, wohlwollender mit mir umzugehen?

In einer Welt, die von ständigen Vergleichen und Ansprüchen geprägt ist, ist der innere Kritiker oft sehr laut. Wir alle kennen ihn – diese innere Stimme, die uns in den unpassendsten Momenten daran erinnert, was wir nicht gut genug gemacht haben oder wie wir besser sein sollten. Dass wir gefälligst härter und schneller arbeiten müssen und alles was wir tun produktiv sein muss. Dass wir uns Pausen erst verdienen müssen und Erfolge nur dann zu feiern sind, wenn sie uns alles abverlangt haben. Die Liste ließe sich noch wesentlich erweitern. Doch was steckt hinter diesem inneren Dialog? Und wie können wir lernen, ihn positiver zu gestalten?

Hierfür gibt es zwei mögliche Handlungsfelder. Zum einen können wir uns mit den sogenannten inneren Antreibern bzw. Glaubenssätzen beschäftigen, die in unterschiedlichen Ausprägungen in unserer Persönlichkeit angelegt sind:

  • Sei perfekt!
  • Sei stark!
  • Sei gefällig!
  • Streng dich an!
  • Sei schnell!

Mit meinen Klient:innen widme ich mich stets den 3 Ebenen des Stressgeschehens nach Kaluza, um ganzheitlich aktiv zu werden und so nachhaltig positive Veränderungen herbeizuführen. Die inneren Antreiber gehören zu den persönlichen Stressverstärkern, die der zweiten Ebene zuzuordnen sind. Denn durch jeweils einhergehende typische Gedankenmuster verstärken die Antreiber den empfundenen Stress. Auf dieser Ebene widmet man sich der der Verbesserung der kognitiven Stressbewältigung und der zugrunde liegenden Frage, mit welchen Verhaltensweisen wir uns selbst unter Stress setzen. Hier findest Du übrigens auch das am Anfang des Artikels beschriebene „Muss“-Denken.

Abbildung 1

Lesetipp: Falls Du mehr über die inneren Antreiber lesen möchtest, kann ich Dir den passenden Artikel des Anti-Stress-Teams empfehlen.

Solltest Du darüber hinaus aktiv in diesen und andere Bereiche der Stressbewältigung eintauchen wollen, dann melde dich gern für ein unverbindliches und kostenloses Kennenlerngespräch – vielleicht kommt ja mein Coaching für dich Frage.

Zum anderen können wir uns mit unserem sogenannten inneren Kritiker auseinandersetzen, der sich übrigens auch gern aus dem Vokabular der inneren Antreiber bedient und uns beispielsweise folgende Dinge sagen könnte:

  • Du bist zu schwach. Du schaffst es nie, deine Ziele zu erreichen.
  • Das hast du schon wieder vermasselt. Du bist so unfähig.
  • Du wirst nie gut genug sein. Du verdienst es nicht, glücklich zu sein.
  • Pass dich an und fall nicht auf, sonst wirst Du ausgeschlossen.
  • Diesen Erfolg solltest Du nicht feiern, Du hast dich gar nicht richtig anstrengen müssen.
  • Das musst Du allein schaffen. Wer nach Hilfe fragt ist schwach.

Das sind nur einige wenige von unzähligen Beispielen. Die Gründe für die Entstehung des inneren Kritikers sind vielfältig und können nicht zuletzt in Traumen der Vergangenheit begründet sein. Solltest Du mit diesem Thema schon sehr lange kämpfen und es dich stark belasten, solltest Du vielleicht darüber nachdenken, ob eine Psychotherapie für dich in Frage kommt. Bei geringerer Ausprägung kann es sich anbieten, sich (zunächst) tiefer mit dem Konzept des inneren Kritikers zu beschäftigen, um dann bei Bedarf entweder professionelle Unterstützung ein Anspruch zu nehmen oder weiterhin eigenständig in diesem Bereich zu arbeiten. Hierfür habe ich dir hilfreiche Literatur am Ende des Artikels verlinkt. So oder so, diese Beschäftigung mit uns selbst, wird nicht schädlich sein. Denn selbst, wenn wir psychisch stabil sind – die Welt in der wir leben macht es uns nicht leichter, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln und zu behalten. In einer Gesellschaft, die oft Leistung und Erfolg über alles stellt, fällt es vielen schwer, sich selbst anzunehmen und zu lieben, genau so wie man ist. Der ständige Druck, perfekt zu sein und mit anderen zu konkurrieren, verstärkt oft die negativen inneren Dialoge und führt zu einem ständigen Gefühl der Unzulänglichkeit.

Hinzu kommt, dass es in Zeiten von Social Media und den damit einhergehenden, ständigen Aufwärtsvergleichen noch schwieriger wird, ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen. Dort sehen wir so viele Bilder und Videos von perfekten Leben und scheinbar makellosen Menschen mit denen wir uns unweigerlich vergleichen. „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“, der dänische Philosoph Søren Kierkegaard (1813-1855) hatte schon irgendwie Recht! Mindestens auf der unbewussten Ebene setzen wir damit unseren Anker für das, was wir als normal empfinden, Stück für Stück weiter nach oben. Was wir vergessen: diese Bilder zeigen oft nur eine verzerrte, vermeintlich perfekte Realität und dass jeder Mensch mit seinen kleinen und/oder großen Herausforderungen und Unsicherheiten zu kämpfen hat.

Auch in puncto Stress hat der innere Kritiker negative Konsequenzen: Selbstkritik löst oft ein Gefühl der Bedrohung aus. Sie aktiviert ein wichtiges Stresszentrum in unserem Gehirn, die Amygdala. Diese Reaktion führt dazu, dass der Blutdruck steigt und Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausgeschüttet werden, was uns in einen Zustand der Alarmbereitschaft versetzt – kurz gesagt, sie führt zu Stress. Andererseits, wenn wir uns selbst (und anderen) freundlich begegnen, werden Hirnareale aktiviert, die positive Emotionen und Mitgefühl fördern. Dadurch gewinnen wir Zuversicht und Selbstvertrauen, was es uns ermöglicht, unsere Ziele besser zu verfolgen. Es ist also an der Zeit, an unseren inneren Antreibern zu arbeiten und unseren inneren Kritiker zu zähmen und ihm freundlicher zu begegnen. Denn, kleiner Spoiler, er hat eine „gute Absicht“.

Wer kennt ihn nicht, den Spruch: „Eigenlob stinkt!“ – ich sage: „Eigenlob stimmt!“ Indem wir daran arbeiten, liebevoller mit uns selbst zu sprechen und zum Beispiel Erfolge gebührend zu feiern, stärken wir nicht nur unser Selbstwertgefühl, sondern auch unsere mentale Gesundheit und unser Wohlbefinden. Wir erinnern uns daran, dass wir es wert sind, geliebt und geschätzt zu werden, nicht nur von anderen, sondern insbesondere von uns selbst.

Einstiegsliteratur für die Arbeit mit dem inneren Kritiker

Um an dem Thema innerer Kritiker zu arbeiten, reichen keine einfachen Stichpunkte, die Du an vielen Stellen im Internet finden wirst. Wenn Du dich näher mit diesem Konzept beschäftigen möchtest, kann ich dir wirklich nahelegen entsprechende Bücher zu lesen. Für den Einstieg kann ich das Buch „Hermann – Vom klugen Umgang mit dem inneren Kritiker“ von Tom Diesbrock empfehlen. Er greift das Thema auf leichte Art und Weise auf. Genauso kann ich „Die rote Karte für den inneren Kritiker – Wie aus dem ewigen Miesmacher ein Verbündeter wird“ von Jochen Peichl* empfehlen. Beide Bücher sind recht kurz. Die ersten recht theoretischen Kapitel, kann man (nach Angabe des Autors) auch gut und gerne überspringen, um ohne Umwege pragmatische Handlungsansätze kennen zu lernen. Das Thema ist nicht mal so eben bearbeitet, aber gleichzeitig ein sehr wirksamer Hebel für weniger Stress, mehr Wohlbefinden und Lebensfreude.

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